Deutschland ist nicht mehr gleichgültig
Cathryn A. Cluver, Executive Director of the Future of Diplomacy Project was a Delegate to the International Institute for Strategic Studies (IISS) Manama Dialogue in Manama, Bahrain from October 30 - November 1, 2015. Germany's Minister of Defense, Ursula von der Leyen, participated in the talks, alongside the President of Egypt, the Foreign Ministers of Saudi Arabia, the UK and Jordan, among others. In advance of the meeting, Cluver shared her reflections on Germany as an emergent diplomatic power in the Gulf Region, as the country's foreign minister, the Chancellor and the Minister of Defense engaged in intensive "shuttle diplomacy" ahead of the first rounds of Syria talks in Vienna. She argues that unlike France and the UK, who have long pursued economic and defense interests in the Gulf region, Germany could now use the trust capital built over the course of the Iran negotiations to sequence diplomatic outreach to key countries such as Saudi Arabia in the Gulf and to Turkey and Iran to bring actors to the table to find a political solution to the proxy wars being fought in Syria.
Deutschland ist nicht mehr gleichgültig
Deutschland ist es gelungen, sein außenpolitisches Gewicht zu vergrößern. Beim Manama-Dialog kann Verteidigungsministerin von der Leyen darauf verweisen, dass die Bundesrepublik sich nicht mehr raushält. Ein Gastbeitrag.
Der Besuch von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in Bahreins Hauptstadt Manama Ende dieser Woche ist kein Zufall – sondern wirkt wie ein Teil einer größeren Strategie. Selten war die Bundesregierung so fixiert auf die erweiterte Golf-Region wie in den vergangenen Wochen und Monaten: Außenminister Frank-Walter Steinmeier reiste nach Iran und nach Saudi-Arabien, fast gleichzeitig zur Reise der Bundeskanzlerin in die Türkei.
Die sich zuspitzende Flüchtlingskrise in Deutschland ist nur eine Erklärung für die sich wandelnde Diplomatie der Bundesregierung in der Golf-Region, die jahrelang vor allem von kommerziellem und energiepolitischem Interesse geprägt war. Doch der „arabische Winter,“ der Länder wie Libyen zum Flüchtlingskorridor werden ließ, sowie der viereinhalb Jahre dauernde Krieg in Syrien, die Bedrohung der Ausbreitung des Konflikts in Nachbarländer hinein und die Anziehungskraft des „Islamischen Staats“ (IS) auch für junge Deutsche, stellt die Politik vor neue außenpolitische Aufgaben in der Region. Um die Verteidigungsministerin bei ihrem (auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2014 geäußerten) Wort zu nehmen: „Gleichgültigkeit ist für Deutschland keine Option (mehr)“ – schon allein nicht aus Eigeninteresse.
Iran, Saudi-Arabien, Türkei – diese drei Länder sind entscheidend für eine politische Lösung des Syrien-Konflikts. Und damit auch – so hoffen Beobachter der Syrien-Gespräche am vergangenen Wochenende in Wien – für ein Abflauen der Flüchtlingswelle in Richtung Deutschland. Um politische Lösungswege aus dem Stellvertreterkrieg zu finden, muss der Iran in Gespräche einbezogen werden – so sieht es inzwischen auch ein Realpolitiker wie Henry Kissinger.
Deutschland ist mit seiner wirtschaftlichen Stärke und der Vorreiterstellung in Europa für alle drei Parteien ein Schlüsselland: Die Türkei wittert plötzlich die lang erwartete Umsetzung einer stabileren, europäischen Anbindung durch finanzielle Hilfe und neue Visumspolitik. Der Iran verspricht sich vom Ende der Wirtschaftssanktionen ein um sechs Milliarden Euro anwachsendes Handelsvolumen mit der Bundesrepublik, und ein laut neuer IWF Prognose vom Bankrott bedrohtes Saudi-Arabien dringlich deutsche Hilfe beim Umbau der eigenen Wirtschaft gebrauchen könnte. Dass Iran und Saudi-Arabien die diplomatisch eigenwillige Reiseplanung eines deutschen Außenministers öffentlich kaum beachten, liegt eben auch daran dass man Deutschland braucht – wirtschaftlich wie diplomatisch. So eröffnen sich – wenn in richtiger Reihenfolge und mit sicherer Hand gespielt – neue Handlungsoptionen für die deutsche Außenpolitik.
Ein „wirklich enger“ Freund
Einer Uhrenfirma, die mit der Zeit geht. Zeit ist ein kostbares Gut. Gemessen wird sie immer und überall, egal ob mit praktischen Alltagsuhren oder wertvollen Luxuschronometern.
Auch wenn der Außenminister nach seiner Reise nach Teheran und Riad betont, Deutschland sei in diesem Dreieck „kein Vermittler,“ könnte Deutschland zusammen mit den Vereinigten Staaten und den EU-Verbündeten (vornehmlich Großbritannien und Frankreich) einen deutlichen Beitrag zur Stabilisierung in der Region leisten. Das grundsätzliche Vertrauen, das Deutschland sowohl in der Region als auch seitens der Vereinigten Staaten und Russlands genießt, ist eine solide Basis für verstärktes Engagement. Die Vereinigten Staaten sehen wie Frank-Walter Steinmeier im Iran „wie ein Popstar“ gefeiert wird, während ein ähnliches amerikanisches Engagement jenseits des Atomabkommens zur Zeit innenpolitisch nicht zu verantworten wäre.
Vier-Augen-Konsultationen in Berlin zwischen dem amerikanischen und dem deutschen Außenminister werden deshalb immer wichtiger. Kerry beschreibt Steinmeier als einen Diplomaten der nicht nachlässt („relentless in his diplomacy“), als einen Mann, der Deutschland zu einem „wirklich engen“ Freund und Verbündeten – vielleicht auch zu einem wichtigen westlichen Sprachrohr – gemacht hat. Während sich in vergangenen Jahren die EU-Partner Großbritannien und Frankreich hauptsächlich um die Sicherheitssorgen der Golf-Staaten gekümmert haben, hat sich Deutschland einen größeren diplomatischen und politischen Spielraum herausgearbeitet und sollte diesen jetzt aktiv nutzen. Generell muss angesichts der Lage, in Absprache mit den europäischen Partnern diese Art von „shuttle diplomacy“ weitergehen, um den Sicherheitsbedürfnissen der Region (IS), aber auch dem politischen Auf- und Umbau in der Region weiter Rechnung zu tragen.
Im Hinblick auf Saudi-Arabien, der regionalen Schlüsselmacht, zum Beispiel, wird es in den nächsten Monaten gelten, den internen wirtschaftlichen Umbau gezielt zu unterstützen, um im Gegenzug deutsche und europäische regionalpolitische Ziele zu erreichen, sei es im Hinblick auf die Aufnahme von Flüchtlingen, einer stabilen Waffenruhe im Jemen, Stabilität in Ägypten oder der Verhandlungsbereitschaft mit Iran. Der Generationenwandel an der Spitze des Königshauses ist hierbei auch längerfristig als Chance zu werten. Das zeigt sich einerseits in der sich langsam ändernden Einstellung des Königshauses zur Muslimbruderschaft in Ägypten, andererseits in der generell signalisierten Gesprächsbereitschaft mit Iran (unter Auflagen und trotz des Mekka-Vorfalls), wie auch in der Bekundung, die UN-Friedensgespräche im Jemen zu unterstützen.
Berlin muss Bindeglied sein
Hier muss deutsche Politik vor allem kongruent bleiben: der Verkauf von Leopard-Panzern an Katar diese Woche, welches wohl aktiv an Kampfhandlungen im Jemen beteiligt war, wirft richtigerweise Fragen auf, denen sich auch die Verteidigungsministerin in Manama stellen werden muss. Kongruent wäre es auch, weiterhin auf eine finanzielle Beteiligung Saudi-Arabiens an der Lösung der Flüchtlingskrise zu drängen, den Einfluss Saudi-Arabiens auf die syrische Diaspora in Deutschland durch das Angebot zum Bau von Moscheen in der Bundesrepublik aber konsequent abzulehnen.
Ebenso sollte die Bundesregierung nicht von ihren Menschenrechtsforderungen abkommen: Deutschland kann auch gezielt Forderungen stellen. Ähnlich taktisch muss die Regierung auch im Hinblick auf die Lockerung der Iran-Sanktionen agieren, und Iran – qua Stellung als Bindeglied zwischen Washington, Brüssel und Teheran – politisch einbinden, ohne Nachbarstaaten zu isolieren. Es sind alle aussen- und sicherheitspolitischen Hebel der Bundesrepublik gefragt.
Um dieser Hebeldiplomatie Rechnung zu tragen, wird sich die Verteidigungsministerin neben der Rednertribüne hauptsächlich in vielen bilateralen Gesprächen in den Nebenräumen des Ritz-Carlton-Hotels aufhalten – denn auch die richtige Reihenfolge der Gesprächspartner ist in dieser Region entscheidend. Nach den intensiven vergangenen Wochen, wird sie wird vor allem eines gut vermitteln können: Gleichgültigkeit kann man Deutschland nicht mehr vorwerfen.
You can read the full article in the Frankfurter Allgemeine: http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/von-der-leyen-nimmt-am-manama-dialog-teil-13880862.html
Clüver Ashbrook, Cathryn. “"Germany Is No Longer Indifferent".” October 29, 2015